Was schlägt sie vor?
Am Donnerstag, den 30.04.2020, hat Bundesbildungsministerin Anja Karliczek auf einer Pressekonferenz vorgestellt wie sie den Studierenden in coronaverursachten finanziellen Notlagen helfen möchte. Ihr Vorschlag sieht zwei Hauptpunkte vor. Zum einen gibt es ein Kredit für Studierende, zum anderen Geld für die Studierendenwerke bundesweit, das als Zuschuss an die Studierenden ausgezahlt werden kann.
Der Kredit kann von inländischen Studierenden ab 08.05. beantragt werden, womit die erste Auszahlung am 01.06. getätigt werden soll. Internationale Studierende können erst ab 01.06. einen Antrag stellen. Der Kredit wird von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die auch ansonsten Studienkredite vergibt, angeboten. Es können von den Studierenden maximal 650€ monatlich beantragt werden. Diese sind bis zum 31.03.2021 zinsfrei, danach fallen Zinsen an. Ansonsten sind die Konditionen dieser „Überbrückungshilfe“ die gleichen wie die eines normalen KfW Studienkredits. Mehr dazu gibt es unten in den Kritikpunkten.
Der Zuschuss an die Studierendenwerke beträgt 100 Millionen Euro. Diese werden vermutlich entsprechend der Studierendenzahlen an die einzelnen Standorte verteilt. Die Studierendenwerke werden dann nach bestimmten Kriterien, die noch festzulegen sind, über eine Vergabe entscheiden. Das ausgezahlte Geld ist ein Zuschuss und dementsprechend nicht zurückzuzahlen.
Soweit zunächst zu den Fakten und was der Vorschlag vorsieht.
Was kritisieren wir daran?
Die Hilfe kommt zu spät!
Die schwierige finanzielle Situation vieler Studierender durch den Wegfall von Nebenjobs oder Verdienstausfälle bei den Eltern und damit verbundener ausbleibender Unterstützung ihrerseits ist bereits seit Mitte März bekannt, also mittlerweile vor 1,5 Monate. Zum Beispiel startete bereits am 20.03. die Petition Soforthilfe mit Lösungsvorschlägen seitens der Studierenden. Nahezu alle Nebenjobs, die verloren gegangen sind, fielen bereits im März weg. Mieten wurden natürlich bereits Anfang April wieder fällig und mittlerweile ging auch die Miete für den Monat Mai wieder ab. Den kompletten April mussten sich manche Studierende vollkommen ohne Einkünfte und nur aus Rücklagen, falls diese überhaupt existent sind, finanzieren.
Frau Karliczek hat entsprechend dieser alarmierenden Lage überaus lang geschwiegen. Erst um Ostern herum verkündete sie erste Pläne. Mit der jetzigen Lösung fließen allererste Bundesgelder erst am 01.06.. Für internationale Studierende, die besonders betroffen sind sogar noch später. Das sind dann insgesamt mindestens 2,5 Monate, die sich Studierende in finanzieller Notlage irgendwie selbst finanzieren mussten. Ohne Rücklagen, von denen bei betroffenen Studierenden ohnehin nicht ausgegangen werden kann, eine schier unlösbare Aufgabe. Das heißt bis zum 01.06. hat Frau Karliczek mit ihrerer nicht nachvollziehbaren sehr langsamen Reaktion im schlimmsten Fall Studienabbrüche, definitiv aber großen Druck bei den Studierenden verursacht. Druck unter dem sich ein Studium natürlich denkbar schwierig fortsetzen lässt.
Alle sind sich einig, nur Frau Kaliczek ist beratungsresistent!
Nach dem ersten Vorschlag der Bundesbildungsministerin, der nur die Kredite vorsah, haben ausnahmslos alle wichtigen hochschulpolitischen Akteur*innen, darunter Hochschulen, Studierendenwerke, Studierendenschaften, alle Oppositionsparteien, der Koalitionspartner CDU und Gewerkschaften, Kritik an den Vorschlägen geübt. Alle 16 Wissenschaftsminister*innen der Länder, darunter einige der eigenen Partei CDU, sahen sich genötigt einen gemeinsamen Brief mit einem eigenen anderen Vorschlag (hälftiger Zuschuss wie BAföG) an sie zu verfassen. Diesem hat sie eine klare Absage erteilt und auch die anderen Kritiker*innen stießen auf taube Ohren. Dabei gab es zu diesem Thema vor allem initiiert von den Studierendenverbänden zahllose Petitionen, Bündnisse, zwei Online-Demonstrationen, einige andere Protestformate und einen offenen Brief. Auf all diese Vorstöße kam keine Reaktion des BMBF. Selbst 20.000 Kommentare unter der Petition Soforthilfe für Studierende von betroffenen Studierenden in finanzieller Notlage konnten die Ministerin nicht umstimmen an ihrem Vorschlag festzuhalten.
Lediglich der Zuschuss an die Studierendenwerke konnte ihr abgetrotzt werden, der aber an späterer Stelle noch einmal thematisiert wird.
Unverschuldet verschuldet – Kredite sind keine Lösung!
Die Studierenden, die sich derzeit zu Recht über finanzielle Schwierigkeiten beklagen, sind vollkommen unverschuldet in diese Situation geraten. Sie können wie alle anderen auch nichts für die Corona-Krise und wurden wegen der Pandemie aus ihren Arbeitsverhältnissen gekündigt. Das heißt sie haben absolut nichts falsch gemacht, verlieren aber derzeit Geld. Die Einnahmeausfälle werden sie nicht wieder bekommen können und fehlen ihnen nun nachhaltig. Wenn die Studierenden nun einen Kredit in Anspruch nehmen verschulden sie sich und müssen das Geld später wieder zurück zahlen- unverschuldet verschuldet sozusagen. Völlig zu Recht haben andere Bevölkerungsgruppen bei Einnahmeausfällen Zuschüsse bekommen, die sie nicht zurück zahlen müssen. Wir möchten überhaupt nicht in Frage stellen, dass das eine richtige Entscheidung ist und diese Menschen das verdient haben. Bleibt dennoch die Frage warum dies bei Studierenden nicht für nötig gehalten wird.
Das Problem der Finanzierung wird damit nur hinausgeschoben. Die Studierenden, die sich nun notgedrungen dafür entscheiden einen solchen Kredit aufzunehmen, müssen irgendwann die Rückzahlung finanziell stemmen. Diese nehmen sie als zusätzliche Belastung in einen vermutlich sowieso nicht besonders starken Arbeitsmarkt mit. Beim BAföG zeigt sich jetzt bereits, dass Studierende davor zurückschrecken dies zu beantragen und zwar aus Angst sich zu verschulden. Genau so wird es jetzt auch sein und im schlimmsten Fall brechen Studierende unverschuldet und mit sonst sehr guten Aussichten ihr Studium zu beenden nur aufgrund der finanziellen Situation ihr Studium ab.
Selbst die Höhe des Kredites reicht nicht!
Die Kredithöhe beträgt 650€ pro Studierende*r pro Monat. Hier bei uns in Sachsen mag das zum Leben gerade so reichen. Wenn wir uns jedoch mal in die Lage von Studierenden in München, Köln oder Hamburg versetzen ist das teilweise gerade so die Miete. Nehmen wir an, dass tatsächlich alle Stricke reißen und die Betroffenen keine Einkünfte mehr haben. Dann müssen diese Studierenden von 650€ pro Monat leben. Selbst in kleineren Städten reicht das gerade so für das Nötigste. Wenn das Geld ohnehin als Kredit ausgezahlt wird und zurückgezahlt werden muss, ist es schwer verständlich warum nicht auch mehr beantragt werden kann. Der durchschnittliche Bedarf von Studierenden in Deutschland für den Lebensunterhalt liegt bei etwas mehr als 1.000€.
Der Kredit ist eine Mogelpackung!
Wie bereits gesagt ändert sich an den Kreditkonditionen- und voraussetzungen nur, dass der Kredit auch für internationale Studierende zugänglich ist und in der Anfangszeit zinsfrei ausgezahlt wird.
Das bedeutet jedoch, dass nach dem 31.03.2021 ganz normal Zinsen anfallen. Tatsächlich übernimmt der Bund in dieser Zeit noch nicht einmal 200€ der Zinsen, während die Studierenden weiterhin später auf mehreren Tausend Euro Zinsen sitzen bleiben. Also hier von einem zinslosen Kredit zu sprechen grenzt schon fast an eine Frechheit. Damit werden Studierende hier noch einmal benachteiligt und offen kommuniziert wird dieser Umstand leider nicht.
Es kommt hinzu, dass sich auch bei den Voraussetzungen für den Kredit nichts ändert. Das heißt, dass Menschen, die bereits einen Studienkredit laufen, also ihn vor der Corona-Krise aufgenommen und noch nicht zurückgezahlt haben, keinen weiteren durch die Krise aufnehmen können. Auch Studierende, die über dem 10. Semester sind, bekommen bei der KfW keinen Kredit. Einerseits benachteiligt das Studierende im Diplom oder Staatsexamen gegenüber Bachelor und Master, andererseits ist die Regelstudienzeit generell schwer zu halten und die meisten Studierenden brauchen länger. Damit fallen immer noch Studierende, die dringend Hilfe benötigen, durchs Raster. Nicht mal dieses Versprechen allen Studierenden, die es nötig haben, zu helfen kann Anja Karliczek halten.
Der Zuschuss reicht hinten und vorn nicht!
Die Studierendenwerke bekommen wie oben beschrieben insgesamt 100 Mio. Euro, um diese als Zuschüsse unter den Studierenden zu verteilen. Klingt ja erstmal ganz gut. Aber auch das sollten wir uns genauer anschauen.
Schätzungen zu Folge gibt es von den knapp 3 Mio. Studierenden 750.000, die sich in akuter finanzieller Not befinden. Wenn man diese 100 Mio. Euro gleich auf die 750.000 Studierenden verteilen würde, würde jede*r Studi nicht einmal 150€ bekommen und das als einmalige Zahlung. Wenn man Studierenden z.B. 800€ einmalig auszahlen würde, womit die meisten über einen Monat kommen sollten, könnten mit den 100 Mio. Euro 125.000 von den 750.000 Studierenden gefördert werden. Diese Zahlen machen deutlich, dass das BMBF mit einem Zuschuss von 100 Mio. Euro noch nicht einmal nah an die Lösung der finanziellen Krise unter den Studierenden kommt. Deswegen ist auch hier die Höhe der Summe schwer begreiflich, insbesondere weil mehr Geld da wäre.
Das Geld wäre da!
Im Jahr 2019 wurde knapp eine Milliarde Euro an veranschlagten BAföG Geldern nicht abgerufen. Das ist Geld, was für die Studierenden vorgesehen war. Wann, wenn nicht jetzt ist die Möglichkeit gegeben die Gelder doch noch abzurufen und denen zur Verfügung zu stellen, die sowieso davon profitieren sollten. Von dieser knappen Milliarde haben es letztendlich 100 Mio. in den Topf geschafft. Eine wirklich magere Bilanz.
Internationals not welcome in Germany!
Internationale Studierende können auch in Nichtkrisenzeiten kein BAföG beantragen. Ausgaben haben sie natürlich trotzdem die gleichen. Das erklärt, dass unter den internationalen Studierenden ein besonders großer Anteil neben dem Studium erwerbstätig ist. Das heißt aber auch, dass diese von der Krise besonders stark betroffen sind. Nun haben sie wenigstens anders als sonst den Anspruch auf einen KfW Kredit. Allerdings ist unklar, warum sie diesen erst später beantragen können, als die inländischen Studierenden. Damit werden sie auch in Krisenzeiten weiter benachteiligt und ihre finanzielle Situation ohne Not extrem verschärft.
Also nochmal kurz zusammengefasst:
- viel zu späte Hilfe
- alle Akteur*innen kritisieren Vorschlag, aber Karliczek bleibt dabei
- Kredit ist keine gute Lösung, da
- Studierende jetzt Geld verlieren und es nicht wieder rein bekommen
- Studierende in Verschuldung gezwungen werden
- manche Studierende um Verschuldung abzuwenden lieber das Studium abbrechen
- Kredit ist nicht hoch genug, vor allem in teuren Städten deckt er nicht den Lebensunterhalt
- Zinsen werden trotzdem in hohem Maße fällig
- es sind nicht alle Studierenden kreditberechtigt
- Zuschuss ist deutlich zu gering
- nicht verausgabte BAföG Mittel werden nahezu nicht genutzt, obwohl sie zugänglich sind
- internationale Studierende werden weiter benachteiligt