Landesstudierendenvertretung KSS richtet sich mit der Forderung um Aufenthaltserlaubnisse für alle aus der Ukraine geflüchteten Studierenden direkt mit einem offenen Brief an Innenminister Schuster
Während geflüchtete Studierende mit ukrainischer Staatsbürgerschaft seit dem 01. Juni sogar Anspruch auf BAföG haben, müssen Drittstaatsangehörige weiterhin um ihre Existenz bangen. Denn mit Ablauf der aktuell geltenden Fassung der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung zum 31. August 2022 müssen viele geflüchtete Studierende ausreisen, die nicht nachweisen können, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihr ursprüngliches Herkunftsland zurück können. Viele von ihnen haben dort jedoch nicht die Möglichkeit, ihr in der Ukraine begonnenes Studium fortzusetzen. Die Konferenz Sächsicher Studierendenschaften (KSS) hat sich daher bereits Anfang April an Sachsens zuständige Politiker*innen gewandt – unter anderem Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow – und unbürokratische Lösungen gefordert, die ein Weiterstudieren in Deutschland unabhängig der Staatsbürgerschaft ermöglichen. Nun wendet sich die Landesstudierendenvertretung mit einem offenen Brief direkt an Sachsens zuständigen Innenminister Armin Schuster und ruft ihn zur Umsetzung eines Landesaufnahmeprogrammes für die betroffenen Studierenden in Sachsen auf.
„Es herrscht viel Solidarität mit den aus der Ukraine geflüchteten Menschen im Land. Diese hört jedoch anscheinend mal wieder bei der Hautfarbe oder Staatsangehörigkeit auf. Wir fordern schlichtweg gleiches Recht für alle aus der Ukraine geflüchteten Studierenden, die hier in Sachsen gern ihr Studium fortsetzen möchten“, erklärt Sabine Giese, Sprecherin der KSS.
Nach aktuellem Stand wurde die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung, welche die Rechtsgrundlage für den visumsfreien Aufenthalt der betroffenen Studierenden bietet, mit Beschluss des Bundesrates vom 08. Juli 2022 bis Ende November verlängert. Es gibt jedoch eine Einschränkung: Ohne offiziellen Aufenthaltstitel dürfen die Geflüchteten nur noch maximal 90 Tage in Deutschland bleiben. Diesen Titel können die geflüchteten Studierenden jedoch nur mit einer Hochschuleinschreibung oder einen studienvorbereitenden Sprachkurs erlangen. Da diese Möglichkeiten noch nicht lückenlos an den sächsischen Hochschulen geschaffen wurden, werden viele geflüchtete Studierende mit Drittstaatsangehörigkeit Ende August das Land verlassen müssen. „Die Frist von 90 Tagen reicht einfach nicht aus – die Studierenden müssen hierfür zunächst einmal Zugang zu Sprachkursen erhalten. Auf die Zusage der Finanzierung ebendieser Kurse durch die Sächsische Regierung warten die Hochschulen jedoch teilweise noch immer. Unter den Ministerien wird sich die Verantwortung hierfür offenbar hin- und hergeschoben. Es braucht daher dringend konkrete rechtliche Lösungen, die den Drittstaatsangehörigen die nötige Zeit geben, um die notwendigen Vorkehrungen für das Weiterstudieren treffen zu können“, ergänzt Giese.
Neben einer leichteren Vergabe der Aufenthaltserlaubnisse fordert die KSS ein Landesaufnahmeprogramm für geflüchtete Studierende in Sachsen. „Wir wollen nicht mehr abwarten, bis der Bund sich dazu entscheidet, die Zweiklassenpolitik fallen zu lassen. Nach dem aktuellen Aufenthaltsgesetz können auch die Länder voranschreiten und entsprechend gemäß § 23 des Aufenthaltsgesetzes im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Inneren Aufnahmeprogramme starten, die auch den Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht zum Zweck des Studiums ermöglichen würden. Dadurch wären die Betroffenen ebenso wie ihre ukrainischen Kommiliton*innen für den Bezug von BAföG berechtigt. Wir möchten Sie, Herr Staatsminister Schuster, daher inständig dazu aufrufen, einen mutigen Schritt in Sachen Flüchtlingspolitik in Sachsen zu wagen und damit eine Vorreiterrolle im Bund zu übernehmen“, schließt Uta Lemke, ebenfalls Sprecher*in der KSS.
Offener Brief an den sächsischen Staatsminister für Inneres, Armin Schuster
Sehr geehrter Herr Staatsminister für Inneres Schuster,
gern möchten wir als Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) die Gelegenheit nicht versäumen, Ihnen noch recht herzlich zum Amtsantritt als Sächsischen Staatsminister des Inneren zu gratulieren! Nachdem Sie nun vermutlich bereits in der alltäglichen Arbeit angekommen sind, möchten wir uns hiermit gern direkt mit einem sehr dringlichen Anliegen an Sie wenden.
Als offizielle Landesstudierendenvertretung gemäß §28 SächsHSFG kümmern wir uns um die Belange aller sächsischen Studierenden – dazu gehören insbesondere momentan auch alle nach Sachsen geflüchteten Studierenden. Seit mehreren Monaten treten aktuell vermehrt jene aus der Ukraine geflohenen Menschen an uns heran, welche ihr Studium aufgrund des Krieges nicht beenden konnten und dies gern in Sachsen tun wollen. Immense Sorgen bereitet uns dabei die Situation der geflohenen Studierenden mit Drittstaatsangehörigkeit, die nicht den Schutz nach §24 AufenthG genießen, den sie gemäß dem Schreiben M3-21000/33 des BMI vom 14. März 2022 zur „Umsetzung des Durchführungsbeschlusses des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms“ nur dann bekämen, wenn sie nachweisen können, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Ob sie im Herkunftsland auch ihr Studium beenden können, wird dabei nicht berücksichtigt. Viele spiegeln uns daher die große Angst, ihr in der Ukraine begonnenes Studium nie mehr fortführen zu können. Diese Studierenden sind aus denselben Gründen wie ihre ukrainischen Mitstudierenden aus dem Kriegsgebiet geflohen, und haben dennoch nicht dieselben Rechte.
Der legale Aufenthaltsstatus, den geflüchtete Studierende genießen, die nicht dem vorübergehenden Schutz nach §24 AufenthG unterliegen, wird durch die Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung geregelt und galt bislang bis zum 31. August 2022. Der Bundesrat hat nun in seiner 1023. Sitzung vom 08. Juli der Verlängerung dieser Verordnung bis zum 30. November 2022 mit Gültigkeit zum 01. September 2022 zugestimmt. Allerdings wurde in diesem Beschluss die Begrenzung des visumsfreien Aufenthalts auf maximal 90 Tage vorgenommen. Für die betroffenen aus der Ukraine geflohenen Drittstaatsangehörigen mit Studieninteresse reicht diese Zeit aus vielen Erfahrungswerten in keiner Weise aus, um sich entsprechend §16b AufenthG um einen Aufenthaltstitel zum Zweck des Studiums und eine Immatrikulation an einer Hochschule zu bemühen.
Durch diese Einschränkung auf 90 Tage müssen viele Betroffene also trotz der Verlängerung der Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung das Land nun zum 31. August 2022 verlassen. Dieses Datum rückt immer näher. Kurz nach diesem Stichtag beginnt an einigen sächsischen Hochschulen das Wintersemester – eigentlich eine Chance für die geflüchteten Studierenden aus Drittstaaten, an nun beginnenden Sprachkursen teilzunehmen oder nach erfolgreicher Teilnahme ihr Studium nun endlich fortzusetzen. Viele dieser Studierenden streben einen Abschluss in Studiengängen an, bei denen Fachkräftemangel in Sachsen herrscht – Expertise also, die unser Land dringend benötigt! Dennoch müssen die Betroffenen das Land dann verlassen – schlichtweg, weil einige Voraussetzungen für den Erwerb eines entsprechenden Aufenthaltstitels in dieser kurzen Zeit nicht erreicht werden konnten. Viele Sächsische Hochschulen warten bspw. weiterhin auf die Genehmigung der finanziellen Mittel für ihre geplanten zusätzlichen Sprachkurse für die geflüchteten Studierenden durch das SMWK.
Wir bitten Sie daher allen voran, sich für eine wirkliche Verlängerung des vorübergehenden visumsfreien Aufenthaltsrechtes für die betroffenen Studierenden einzusetzen, damit alle Drittstaatsangehörigen, die sich ordnungsgemäß in Sachsen immatrikulieren wollen, ausreichend Zeit hierfür erhalten!
Neben den Abmilderungen durch Übergangslösungen ist uns jedoch bewusst, dass nun langfristige Lösungen gefunden werden müssen. Hierfür haben wir uns bereits im April mit einer entsprechenden Bitte an Ihren Kollegen und den für uns Studierende zuständigen Minister für Wissenschaft, Hochschule und Forschung – Sebastian Gemkow – gerichtet und möchten die aus unserer Sicht möglichen Maßnahmen nunmehr direkt auch an Sie herantragen.
Unser Ziel ist es allen voran, allen Drittstaatsangehörigen, die in Sachsen studieren möchten, dieses Weiterstudieren hier auch zu ermöglichen. Nach aktuell geltenden rechtlichen Möglichkeiten, könnte bereits der Erwerb des legalen Aufenthaltstitels nach §16b AufenthG zum Zweck des Studiums erleichtert werden. Die Voraussetzung hierfür ist die Immatrikulation an einer Hochschule oder die Aufnahme eines Intensivsprachkurses zur Studienvorbereitung. Unseres Erachtens gibt es hierbei in mehrerer Hinsicht Spielraum für die Ermessensausübung, auf den Sie als Innenminister maßgeblich hinwirken könnten:
1) Wir möchten Sie darum bitten, die Ausländerbehörden dazu aufzufordern, in der aktuellen Lage flächendeckend die „Kann“-Regelungen gemäß §16b Abs. 5 Nr. 2 im Ausnutzen des Ermessens Anwendung finden zu lassen, d.h. bereits die Teilnahme an Intensivsprachkursen als ausreichend für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Studiums oder studienvorbereitender Maßnahme zu werten – auch wenn diese weniger als 19h/Woche umfassen. Viele dieser Sprachkurse befinden sich schließlich noch im Aufbau bzw. warten auf die benötigte Finanzierung, um die hohe Nachfrage abdecken zu können wie bspw. an der Hochschule Zittau/Görlitz.
2) Zusätzlich kann der notwendige Nachweis der Lebensunterhaltssicherung nach §2 Abs. 3 Satz 5 AufenthG zunächst für weniger als 1 Jahr mit der Auflage akzeptiert werden, vor Ablauf des Zeitraumes, für den der Nachweis erbracht wurde, die weitergehende Lebensunterhaltssicherung nachzuweisen gemäß 16.0.8.3 VwV AufenthG. Dies wird von einigen Ausländerbehörden zwar bereits so gehandhabt, aber ein Appell von ihrer Seite würde dies nochmals ankurbeln. Damit könnten die Prozesse beschleunigt und das Erwirken der entsprechenden Finanzierung des Aufenthaltes erleichtert werden.Dies würde für die an den Hochschulen und den Studienkollegs bereits begonnenen bzw. in Planung befindlichen oder auf Finanzierung wartenden Intensivsprachkurse gelten und einen Studienbeginn im nächsten Jahr ermöglichen.
Damit jedoch eine konkrete und nachhaltige Lösung gefunden werden kann, möchten wir Sie dazu aufrufen, einen mutigen Schritt in Sachen Flüchtlingspolitik in Sachsen zu wagen und damit eine Vorreiterrolle zu übernehmen:Gemäß §23 Abs. 1 AufenthG haben Sie als oberste Landesbehörde die Möglichkeit ein Länderaufnahmeprogramm umzusetzen, welches die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für bestimmte Ausländergruppen beinhaltet. Anders als die Ermöglichung der humanitären Aufnahme nach §22 AufenthG durch das BMI oder nach §23a AufenthG durch die Länder, kann durch das Inkrafttreten des §23 AufenthG direkt einer gesamten Interessensgruppe die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Für Studierende würde dies gleichzeitig bedeuten, dass auch Fragen der Studienfinanzierung keine Rolle mehr spielen würden, da die Betroffenen gemäß §8 Abs. 2 BAföG direkt zum Bezug der Ausbildungsförderung berechtigt wären. Unseres Erachtens ist die Anwendung dieser Regelung sowohl aus humanitären Gründen als auch zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik sehr gut begründbar.
Ein humanitärer Grund liegt unseres Erachtens allein dadurch vor, dass diese Drittstaatsangehörigen aus denselben Gründen aus der Ukraine wie die Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit geflüchtet sind und letztere bereits über §24 AufenthG die Möglichkeit haben, ihr Studium in Deutschland weiterzuführen und auch BAföG zu erhalten. Das Weiterführen ihres Studiums ist zudem für viele Drittstaatsangehörige in ihrem Herkunftsland nicht möglich. Gründe dafür können finanzieller Natur sein oder schlichtweg auf der Tatsache beruhen, dass ihr Studiengang dort nicht existiert. Wir würden diese Menschen also ohne Existenzgrundlage in schwierige Verhältnisse im Herkunftsland zurückschicken, was wir als humanitär absolut nicht für vertretbar erachten.
Außerdem liegt unserer Auffassung nach auch ein politisches Interesse daran, Drittstaatsangehörige in Sachsen zu fördern – schließlich suchen wir händeringend nach mehr Fachkräften im Bundesland und wollen die Internationalisierung hierfür vorantreiben. Es ist absehbar, dass viele Studierende mit ukrainischer Staatsangehörigkeit nach Stabilisierung der Lage in ihr Land zum Wiederaufbau zurückkehren möchten. Studierende aus Drittstaaten jedoch könnten nach einem erfolgreichen Abschluss hier eher Fuß fassen.Wir bitten Sie inständig darum, das Bundesministerium für Inneres (BMI) um Einvernehmen zu einem solchen Landesaufnahmeprogramm gem. §23 AufenthG für aus der Ukraine geflohene Drittstaatsangehörige zu ersuchen.
Für uns entsteht ein Zwiespalt in der aktuell doch so dringenden Lage in Sachsen, Fachkräfte zu gewinnen und auf der anderen Seite genau jene Personen auszuweisen, die gewillt sind, hier Fuß zu fassen. Die internationalen Studierenden stellen auch für Sachsens Hochschullandschaft sowie Wirtschaft eine große Bereicherung dar. Die Bereitschaft und das Interesse der Hochschulen hierfür ist vorhanden – beispielsweise die TU Dresden oder die TU Bergakademie Freiberg und viele weitere haben bereits viele Vorkehrungen getroffen, um Kapazitäten und Brücken in das reguläre Studium in Sachsen zu schaffen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür zu garantieren, ist Ihre Zuständigkeit.
Herr Minister Schuster – wir möchten Sie daher eindringlich bitten, sich für dieses Anliegen, für uns Studierende, für einen humanitären Einsatz und für eine Bereicherung durch angehende Fachkräfte in Sachsen einzusetzen.
Wir freuen uns sehr auf Ihre Rückmeldung und Ihre Unterstützung in diesem Anliegen!
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Giese und Uta Lemke
Sprecher*innen der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften
Die Pressemitteilung ist auch als PDF verfügbar, ebenso der offene Brief.